Hebamme Luise Kaschel im Interview mit Wombly ueber adaptive Kleidung Neugeborene

"Die Natur richtet sich nicht nach Normen."

Luise Kaschel ist Hebamme auf dem Land. Mehr als 1000 Familien hat die dreifache Mutter bereits begleitet. WOMBLY spricht mit ihr über die sensible Zeit nach der Geburt.

Mit Menschen ins Gespräch kommen, in den Austausch gehen, Geschichten hören, ist uns bei WOMBLY ein Anliegen. Im ersten Interview sprechen wir mit Hebamme Luise Kaschel:

Luise, du arbeitest als freiberufliche Hebamme. Wie sieht dein Berufsalltag aus?  

Ich begleite Familien auf dem Land in den sensiblen Lebensphasen Schwangerschaft, rund um die Geburt, im Wochenbett und bis zum Ende der Stillzeit. Die Begleitung findet im häuslichen Umfeld der Familien statt, um die langen Fahrtwege mit einem Neugeborenen so gering wie möglich zu halten. Ich biete in der Schwangerschaft medizinische Vorsorgeuntersuchungen an, mit Ausnahme der Ultraschall-Termine und berate Familien zu allen Themen rund um Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach. Ein gutes Netzwerk ermöglicht es mir, wenn notwendig, andere Berufsgruppen unterstützend mit ins Boot zu holen. Eine informierte Vorbereitung ist ein wichtiger Grundstein in der persönlichen Entscheidungsfindung der werdenden Eltern. In der Zeit nach der Geburt, ob zu Hause, im Geburtshaus, nach einer ambulanten Krankenhausgeburt, nach einer operativen Geburt, nach einer Frühgeburt mit anschließendem Aufenthalt in der Kinderklinik oder nach einer “stillen Geburt”, besuche ich die Familien anfangs täglich, mehrmals wöchentlich und dann in größeren Abständen, je nach Unterstützungsbedarf und Wunsch der Eltern.
 

Wie wichtig ist der Beruf der Hebamme und wie viele Geburten hast du bereits begleitet? Wie viele Frauen betreut? 

Ich denke, es ist außerordentlich wichtig für eine lebenslange Frauengesundheit, eine unabhängige professionelle Fachkraft in dieser besonderen Lebensphase an seiner Seite zu haben. Der Beruf der Hebamme beinhaltet ein großes medizinisches Wissen der physiologischen Abläufe in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett. Um Auffälligkeiten rechtzeitig zu erkennen und gewissenhaft zu reagieren, benötigt es die Kenntnisse und Fähigkeiten der Hebammen, um Mütter und Ihre Neugeborene gesund durch diesen Lebensabschnitt zu lotsen. Wahrscheinlich habe ich bisher 1000 Familien mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Unterstützungsbedarf betreut. 
 
6 von 100 Kindern sind Frühgeburten. Was sind deine Erfahrungen mit Frühgeborenen? Wie geht es den Eltern, wie den Kindern und welche Schwierigkeiten treten hier oft auf? 

Eine Frühgeburt kommt in den meisten Fällen ungeplant. Die Eltern sowie die Kinder befinden sich oft schlagartig in einer Situation, die für sie in Ihrer körperlichen und seelischen Lage in weiter Ferne lag. Hinzu kommen oft noch medizinische Ausnahmesituationen, die mit Sorgen und schwierigen Entscheidungen verbunden sind. Durch die Frühgeburtlichkeit klappt der Start in die optimale Ernährung mit Muttermilch nicht reibungslos. Oft können die Kinder Ihre Temperatur noch nicht selbst halten, brauchen Unterstützung bei der Atmung und haben manchmal auch angeborene Erkrankungen und müssen sich eventuell schon in den ersten Lebenstagen und -wochen Operationen unterziehen. Ich begleite diese Kinder und Familien nach ihrer Entlassung aus der Kinderklinik zu Hause. Die Mütter werden oft nach wenigen Stunden oder Tagen aus der Frauenklinik entlassen und sind dann als Begleitperson auf der Kinderstation. Hier ist es mir wichtig, zu den Frauen, Vätern und Geschwistern Kontakt aufzubauen. Sie haben in dieser Phase viele Fragen und benötigen dringend Unterstützung, die durch das Klinikpersonal häufig nicht abgedeckt werden kann. 

Einmal entlassen und zu Hause angekommen, gilt es Gelerntes zu festigen, Vertrauen zu fassen und neue Wege außerhalb der Klinik zu wagen. Manchmal werden Kinder mit Magensonde oder einem Monitor zur Überwachung der Herz- und Lungenfunktion nach Hause entlassen. Diesen Eltern ist es ein Anliegen, Unterstützung bei ihren Herausforderungen zu erhalten aber auch einen gewissen Alltag wiederzuerlangen. Sie wünschen sich auch, in dieser außergewöhnlichen Situation, die sich über Wochen, Monate, Jahre oder ein Leben lang ergeben, Teil der Strukturen im Alltag zu sein. 

Hebammen gehören zu den ersten Ansprechpartnerinnen in den Familien. Die Zeit im Wochenbett ist gleichzeitig schön, aber auch voller Fragen, manchmal auch Sorgen. Wie kann man Familien stärken, die einen weniger leichten Start nach der Geburt haben?   

Eltern sind dankbar über jedes gute Gespräch. Sie wollen nicht allein sein, sie sind dankbar über Anteilnahme. Erste Stillversuche auch mit Kabeln und Schläuchen und das Abpumpen von Muttermilch sind Dinge, die sie aktiv beitragen können. Oft gibt es große Verunsicherungen bei Außenstehenden. Die schweren Belastungen werden oft als erstes gesehen, für die Eltern ist es Finn, Eddy, Greta oder Fritzi, die geboren wurden. Sie wollen nicht aussortiert werden wie krummes Gemüse aus dem Supermarkt, sie wollen Teil der großen Gemeinschaft sein, die gerade Eltern ihres ersten, zweiten, sechsten oder neunten Kindes geworden sind, welches so unterschiedlich ist, wie die Eier groß, klein, dick, dünn, lang, kurz, gefleckt, gepunktet, erhaben, gelb, weiß, grün, dunkelgrün, beige, creme weiß und braun aus meinem Hühnerstall - keines gleicht dem anderen. 

Du hast selbst drei Kinder. Haben deine Geburtserfahrungen die Sicht auf deine Arbeit als Hebamme verändert? 

Die Geburt ist der Anfang, als Mutter weiß ich, dass die Aufgaben als Eltern an diesem Punkt beginnen. Die Geburt meiner ersten Tochter wurde von einer wunderbaren, älteren Kollegin begleitet. Sie hat selbst keine eigenen Geburtserfahrungen und ich bewundere ihre wertschätzende, würdigende Art gegenüber allen Müttern und Vätern sehr. Damals habe ich mir vorgenommen, mich nicht durch meine persönlichen Erfahrungen leiten zu lassen, da jeder Weg sehr individuell ist, wir alle anders geprägt sind und andere Erfahrungen durchlaufen. In meiner Arbeit als Hebamme habe ich gelernt, dass die Natur sich nicht nach Normen und Erwartungen richtet. Dass wir Mut haben sollen, uns auf das Leben einzulassen, welches nicht in die Norm passt. Viele Eltern bereiten sich auf diese spannende Zeit mit dem Neugeborenen intensiv vor, manches gelingt, aber wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir vieles nicht beeinflussen können, es kommt, wie es kommt und wir können lernen dieses Leben, was kommt, zu leben.   

Wombly kreiert adaptive Kleidung für Kinder mit Einschränkungen. Sei es eine Magensonde, ein künstlicher Darmausgang oder ein Beatmungsgerät, Orthesen oder Prothesen. Dafür sind die Kleidungsstücke an den Seiten mit Druckknöpfen versehen, um schnell an die entsprechenden "Problem"stellen zu kommen. Wie wichtig findest du solch eine anpassungsfähige Kleidung und welche Probleme sind in deiner Berufslaufbahn vor allem in Bezug auf unpraktische Kleidungsstücke aufgetreten? 

Es gibt kaum praktische Kleidung für Kinder mit Einschränkungen. Eltern haben oft Sorge, wichtige Kabel oder Schläuche versehentlich zu ziehen. Die gesamte Situation ist neu für sie. Viele wissen wie aufregend das Handling mit einem Neugeboren ist. Praktische Kleidung ist für Reifgeborene, Frühgeborene und Kindern mit Einschränkungen hilfreich im Alltag und umso hilfreicher, wenn Sie den speziellen Bedürfnissen angepasst sind. Ist die Kleidung zu groß und liegt nicht an der Haut an, kühlen Kinder schnell aus. Was praktisch ist, erfährt man selbst oft erst, wenn man in der einzelnen Ankleidesituation steckt. Umso hilfreicher ist es, von Erfahrungswerten Anderer so profitieren und bereits optimierte Kleidung erwerben zu können. Je leichter der Umgang, umso schneller haben Eltern den Mut, die oft sehr zarten Kinder bald selbst zu versorgen. 

Was wäre dein Wunsch in Bezug auf die Erstausstattung von Babys mit körperlichen Einschränkungen?  

Es wäre schön, wenn die Kleidung erschwinglich ist und/oder die Eltern unbürokratisch ohne Zeitverzögerung finanzielle Unterstützung durch die Kranken- und Pflegekassen für die Ausstattung von Babys, Kindern und Erwachsenen mit Einschränkungen erhalten. Erst kürzlich habe ich gehört, dass jede Familie in Schweden ein Paket mit Erstausstattung für ihr Baby erhält. Wünscht man dies nicht, erhält man die finanzielle Unterstützung im Wert des Erstausstattungspaketes. Hilfreich wäre es, wenn Eltern von Babys mit körperlichen Einschränkungen ein Paket mit Adressen für Unterstützung wie beispielsweise der Verein rehaKind - der sich zur Aufgabe gemacht hat, Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen eine hochwertige und individuelle Hilfsmittelversorgung zu ermöglichen und damit das Recht auf aktive Teilhabe sichert. In diesem Paket könnte auch ein Kleidungsstück adaptiver Kleidung beiliegen, um praktische Möglichkeiten aufzuweisen. 

Welche Kleidungsgrößen sollten auf jeden Fall mehr in den Fokus genommen werden? 

Die Größen für kleine und sehr kleine Babys mit einem Gewicht von 1000g - 3000g Körpergewicht. Aber auch für Jugendliche mit körperlichen Einschränkungen gibt es keine altersgerechte Auswahl. 

Aus welchen Materialien sollten Kleidungsstücke aus Sicht einer Hebamme sein? Sollten Kindersachen lieber gemietet werden, um nachhaltiger zu werden? 

Gemietete Sachen sind wunderbar. Sie schonen Ressourcen, damit die Umwelt, und sind wertschätzend gegenüber denjenigen, die sie herstellen. Gebrauchte, häufiger gewaschene Kleidung enthält weniger Schadstoffe. Das ist dann gesünder für unsere Haut. Bei der Herstellung muss darauf geachtet werden, dass die Kleidung unter hohen Temperaturen gewaschen werden kann, da Kinder mit Einschränkungen und häufigen Operationen abwehrschwächer sind. Trotz alledem finden es Eltern schön, ein oder zwei Lieblingskleidungsstücke als ihre Eigenen aufzubewahren. Sie sichern Erinnerungen an eine besondere Zeit und erzählen Geschichten, die gerade die Kinder so gern immer und immer wieder hören.   

Wenn du etwas am Berufsbild ändern könntest, was wäre das? 

Ich wünsche mir weniger Macht in unserem Berufsbild. Wissen macht mächtig und ich erlebe immer wieder, wie Kolleginnen diese Macht ausnutzen und Frauen damit stark verletzten. Familien geraten in hilflose, verletzliche Situationen, in denen sie auf einen Schutzraum angewiesen sind. Hebammen, die diese Situation nicht erkennen und ausnutzen, um Ihre Macht auszuspielen, kann ich nicht aushalten. 
 
Und ich wünsche mir ein Berufsbild, das sich in einem Gesundheitssystem mit weniger Kosteneffizienz und Leistung, in seiner Menschlichkeit, Liebe und Authentizität noch stärker entwickeln kann. Die Politiker:innen sind seit sehr vielen Jahren aufgerufen, die finanziellen Bedingungen für selbständige Hebammen so zu verändern, dass Ihre Arbeit aufgrund ständig steigender Kosten der Berufshaftpflicht- und Spezialrechtsschutzversicherung ohne finanzielle Einbußen durchführbar ist.  

Vielen Dank Luise für das Interview 


Kurzbiografie

Luise ist Hebamme seit 2011, zunächst im Geburtshaus, dann freiberuflich ohne Geburtshilfe im ländlichen Raum östlich von Berlin, verheiratet, Mutter von drei Kindern, derzeit in der Ausbildung zur Stillberaterin am Europäischen Institut für Stillen und Laktation / IBCLC.

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